Ich sehe schon alle Arbeitsrichter unter den Lesern dieses Artikels heftig nicken. Das könnte man auch meinen, wenn man die Vergleichsquote beim Arbeitsgericht (2011: 59,1 % aller Urteilsverfahren) mit denen beim Amtsgericht (2011: 14,3 %) vergleicht. Vielleicht heften sich auch die im Arbeitsrecht tätigen Anwälte den Orden an die Brust, weil sie viel besser als die anderen Zivilrechtler ihrer Kollegen verhandeln.

Dabei sind die Voraussetzungen für einen Vergleich eigentlich bei den Kündigungsrechtsstreiten, die immerhin eine Vergleichsquote von 75,4 % aufweisen, eigentlich schlecht. Es gibt keinen Raum für einen Kompromiss (von einer konsensualen Lösung ganz zu schweigen). Eine Kündigung kann nicht ein wenig unwirksam sein. Entweder ist eine Kündigung gerechtfertigt oder nicht, man kann keinen 50 % Vergleich schließen.

Ich meine, sie verhandeln nicht besser oder schlechter als die anderen Richterkollegen (oder auch die Anwaltskollegen). Die hohe Vergleichsquote liegt auch nicht an dem institutionalisierten Gütetermin (den gibt es im Zivilprozess ja mittlerweile auch). Es liegt daran, dass gerade im Kündigungsrechtsstreit eine Art institutionalisierte Vergrößerung der Verhandlungsmasse (den Kuchen vergrößern) existiert: Das ist die Abfindung (von der viele juristische Laien glauben, sie stünde jedem zu, dem eine Kündigung ins Haus flattert). Erst hierdurch werden Vergleiche im Kündigungsrechtsstreit erst möglich. Über die Wirksamkeit einer Kündigung kann man schlecht verhandeln. Hier kann nur die eine oder andere Seite gewinnen, es ist nicht einmal ein Nullsummenspiel, es ist ein alles-oder-nichts-Abenteuer. Erst dadurch, dass die Möglichkeit der Zahlung einer Abfindung durch den kündigenden Arbeitgeber ins Spiel kommt, ergibt sich eine Verhandlungsmasse, die Raum für Verhandlungen überhaupt eröffnet.

Der weitere Vorteil im Kündigungsrechtsstreit ist, dass auch die Höhe der Abfindung durch die Regelung im § 1a Abs.2 KSchG einigermaßen fest steht (wenn auch gelegentlich aufgrund der Sach- und Rechtslage Zu- und Abschläge möglich sind. Damit werden Verhandlungen über diesen Punkt aufgrund der objektiven Maßstäbe (Dauer der Betriebszugehörigkeit und Höhe des Monatseinkommens) erheblich erleichtert. Jeder im Arbeitsrecht tätige Anwalt rechnet bei der Annahme eines Kündigungsmandats bereits im Geiste die Höhe der Abfindung aus (und bespricht das auch mit dem Mandanten).

Der weitere Grund für hohe Vergleichsquoten ist, dass man beim Arbeitsgericht eigentlich von vornherein mit einer vergleichsweisen Einigung im Gütetermin rechnet – das ist auch unter den juristischen Laien bekannt. Daher sind die Parteien schon weitgehend darauf eingestellt, einen Vergleich abzuschließen. Die Arbeit des Arbeitsrichters besteht eigentlich nur noch darin, dem Arbeitgeber klar zu machen, mit welchen erheblichen Prozessrisiken er aufgrund seiner Kündigung rechnen muss.

Ein weiterer Pluspunkt für Vergleiche im Kündigungsrechtsstreit besteht darin, dass gerade hier die vermeintlichen Interessen der Beteiligten (und nicht nur die Positionen: Kündigung gerechtfertigt – Kündigung unwirksam) fast automatisch angesprochen werden. Der Arbeitgeber hat das Interesse, diesen Arbeitnehmer loszuwerden und vor allem nicht sein Gesicht durch eine Niederlage im Kündigungsschutzprozess zu verlieren. Der Arbeitnehmer hat zumindest kein Interesse mehr daran, gerade bei diesem Arbeitgeber weiter zu arbeiten – das Arbeitsklima ist allein schon durch den Kündigungsschutzprozess im Eimer. Gedanken über die hinter den Ansprüchen liegenden Interessen machen sich die meisten Richter in sonstigen Zivilverfahren kaum (es sei den, es handelt sich um einen innerfamiliären Rechtsstreit, dann laufen die Richter zur Vergleichshochform auf).

Dass die Arbeitsrichter nicht besser im Vergleiche Vermitteln sind, ergibt sich auch aus der Statistik. In reinen Zahlungsklagen werden nämlich dann nur noch 40,7 % aller Klageverfahren verglichen, in Eingruppierungsstreitigkeiten nur noch 26,5 %. Das ist immer noch mehr als beim Amtsgericht. Das ist aber wohl der Vergleichserwartung vor dem Arbeitsgericht (siehe oben) und der Einbeziehung der Interessen zu verdanken. Auch und gerade bei Zahlungsstreitigkeiten müssen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ihre soziale Beziehung nach Beendigung des Rechtsstreits noch weiter aushalten leben.

Zwei Folgerungen sollte man aus den Zahlen ziehen: Zum einen ist es immer sinnvoll, den Verhandlungsgegenstand bzw. den Kuchen zu erweitern, da dies in aller Regel die Verhandlung erleichtert und auch den Einigungsraum erheblich vergrößert. Zum anderen ist es sinnvoll, die hinter den Positionen steckenden Interessen der Parteien herauszuarbeiten, da auch dies Raum für die Verbreiterung der Einigungsbasis bietet.

Am besten geht das natürlich – und da spreche ich pro domo – durch Mediation.

Quelle der Zahlen: Statistisches Bundesamt Arbeitsgerichte Zivilgerichte