Gestern habe ich die Dokumentation „Unschuldig in Haft – Wenn der Staat zum Täter wird“ in der ARD gesehen. Auch hier wird im R24 Blog von einer eigentlich unhaltbaren Anklage berichtet, die allerdings bei Gericht mit Freispruch endete.

Ich habe als Anwalt nur wenige Strafverteidigungen gemacht und fand das meistens nicht sonderlich befriedigend (die Damen und Herren Strafverteidiger mögen mir hier widersprechen). Ich glaube, der Grund liegt in der falschen Denkrichtung sowohl bei den Ermittlern der Polizei als auch bei der Staatsanwaltschaft. Bei den Staatsanwälten mag das daran liegen, dass sie im Studium nicht auf die Praxis vorbereitet werden. Erstmals als Referendare merken sie, dass die Probleme meist nicht in der juristischen Tätigkeit der Subsumtion liegen (das hat ihnen die Uni beigebracht) sondern in der Ermittlung des Sachverhalts (den haben sie im Studium immer fertig serviert bekommen).

Und in dieser Hinsicht hat ihnen keiner wissenschaftliches Arbeiten beigebracht. Die Naturwissenschaftler sind es gewohnt, Arbeitshypothesen aufzustellen. Den größten Fleiß widmen sie dann dem Versuch, genau diese Thesen zu widerlegen. Würden die Ermittlungsbehörden entsprechend (und sorgfältig) vorgehen, käme es weniger zu unsinnigen Anklagen und zu Fehlurteilen (dann müssten sich auch die Gerichte an ein solches Vorgehen gewöhnen.

Auf den oben im Blog R24 zitierten Fall würde es bedeuten, dass es zwei Hypothesen gäbe: 1, Die Schülerin hat das Handy geklaut und 2. die Schülerin hat mit dem Diebstahl des Handys nichts zu tun. Die Frage wäre nun insbesondere, zu prüfen, ob die 2. These zu widerlegen ist. Hierauf müssten sich die Ermittlungen konzentrieren. Die Ermittlungsbehörden konzentrieren sich aber viel zu sehr auf die Frage, kann ich dem Täter die Tat nachweisen. Entlastende Argumente werden dann gern außen vor gelassen, um das (mehr oder minder sichere) Beweiskonstrukt nicht zu gefährden. Dabei müsste es gerade darum gehen, sich auf die entlastenden Argumente zu stürzen und diese zu überprüfen, um gerade die eigene These zu widerlegen. Die Denkweise wäre eine andere. Alle Zweifel und Widersprüche müssten ernst genommen werden.

Was geschieht in der Wirklichkeit statt dessen? Man versucht ein Beweisgebäude zurecht zu zimmern. Zweifel am eigenen Ermittlungsergebnis und an der eigenen Anklage würde jedem Ermittler und Staatsanwalt zur Ehre gereichen.

Am schlimmsten wird es, wenn die Angaben des Beschuldigten dann als „Schutzbehauptung“ abgetan werden. das ist der Fluchtweg, diese Angaben nicht überprüfen zu müssen. Vielmehr sollten gerade die Angaben des Beschuldigten sauber überprüft werden, ob sie nicht widerlegt werden können. Dann braucht man den Begriff Schutzbehauptung nicht mehr. Entweder können die Angaben widerlegt werden, dann sind sie nachweislich Lüge oder sie sind nicht zu widerlegen, dann muss man sie ernst nehmen.

Wenn die Gerichte und Staatsanwaltschaften in Strafsachen so vorgehen würden, könnte man der Strafjustiz wieder trauen.