Es erstaunt immer wieder, dass Mediation und andere Methoden der ADR (Alternative Dispute Resolution) in Deutschland zwar bekannt sind, aber im Verhältnis wenig genutzt werden. Ganz anders im angelsächsischen Rechtsraum. Dort sind die ADR-Verfahren sehr weit verbreitet.

Meine bisherige Meinung dazu war, dass das deutsche Gerichtssystem gegenüber dem amerikanischen noch zu gut funktioniert. Wer sich die Rechtspraxis und die Qualität manches Urteils oder die Dauer manches Verfahrens ansieht, kann nicht so recht daran glauben.

Ein Artikel auf dem Business Conflict Blog über die Verbreitung von ADR in Frankreich hat mich auf eine andere Idee gebracht.

Der Unterschied liegt in der unterschiedlichen Grundeinstellung zu dem, was bei Gericht geschieht. Im angelsächsischen Bereich wird das Urteil des Richters bzw. der Geschworenen weniger als das Finden der einen reinen Wahrheit gesehen sondern vielmehr als der größeren Wahrscheinlichkeit und der besseren Argumente. Die Voraussehbarkeit von Urteilen ist weitaus geringer und dies wird auch nicht als Fehler gesehen. Die darunter liegende Sichtweise ist die, dass es die eine reine Wahrheit nicht gibt und dass (insbesondere bei der Beweisaufnahme) immer nur nach Wahrscheinlichkeiten gesucht wird.

Die Aufgabe der Gerichte bei uns ist auch nicht die des Problemlösens als vielmehr der Anwendung des vom Gesetzgeber vorgegebenen Rechts. Deshalb finden (Zivil-) Prozesse bei uns regelmäßig fast ausschließlich in schriftlicher Form statt. Die Parteien selbst haben kaum eine Möglichkeit, ihren Standpunkt, ihr Interesse und ihre Ansicht vorzutragen – meist stören die Parteien nur, weil sie unwichtige Argumente vortragen, die mit der (juristischen) Sache nichts zu tun haben.

Diese Ansicht, dass es das Gericht als Instanz gibt, das mir – weil ich ja sowieso recht habe – dann auch den Anspruch zuspricht, lässt andere Konfliktlösungsmethoden, die eventuell mit einem Nachgeben verbunden sind, unattraktiv erscheinen. Warum mit weniger zufrieden geben? Die beste Alternative zur Verhandlung ist ja bereits das, was ich als Maximum fordere!

Auch wenn die Realität anders aussieht (statistisch muss die Hälfte der Parteien verlieren), so verhindert die überoptimistische Bewertung der eigenen Rechtsposition in Verbindung mit dem Glauben an die reine Wahrheit des Gerichts ein Eingehen auf Verhandlungsalternativen. Deshalb gelingen auch bei Gericht Vergleiche immer erst dann, wenn der Richter beiden Seiten nacheinander erklärt hat, dass ihre Klage bzw. Verteidigung gegen die Klage keinerlei Aussicht auf Erfolg hat.

Juristen wissen zwar, dass sie vor Gericht und auf hoher See (dort sind sie seltener) in Gottes Hand sind. Das sollten auch die Parteien wissen, damit sie die Lösung ihres Konflikts in die eigenen Hände nehmen anstatt auf Gottes Hilfe zu warten.