Rechtsanwälte verstehen sich gerne als Interessenvertreter. Tatsächlich sind sie in aller Regel allerdings Anspruchsvertreter. Besteht da tatsächlich ein Unterschied?

Für die meisten Anwälte nicht. Tatsächlich besteht aber ein großer Unterschied zwischen diesen beiden Begriffen.

Ein zivilrechtlicher Anspruch wird durch die bekannte Frage definiert: „Wer will was von wem woraus?“ Dies bedeutet, es geht um eine ganz konkrete Forderung gegen eine ganz konkrete (natürliche oder juristische) Person. Diese Forderung muss natürlich auf einer Rechtsgrundlage beruhen.

Demgegenüber sind Interessen viel weiter gefasst. Der geltend gemachte Anspruch ist in aller Regel lediglich die Spitze eines Eisbergs. Dies ist der sichtbare Teil des Konflikts. Der größte Teil des Konflikts liegt aber wie beim Eisberg unter der Wasseroberfläche. Dies sind dann die Dinge wie Gefühle, intrapersonale Probleme, Bedürfnisse, Beziehungsprobleme, Werte, Kommunikationsprobleme, Informationen, unterschiedliche Sichtweisen und strukturelle Bedingungen. Dies alles zusammen mit den geltend gemachten Anspruch sind die Interessen des Mandanten.

Deshalb sind Mandanten oft unzufrieden, obwohl sie den geltend gemachten Anspruch erhalten. Einmal, weil manche Interessen schlichtweg nicht justitiabel sind. Zum anderen muss der Anwalt gelegentlich aus dem Konglomerat von Interessen einen Anspruch herausdestillieren. Da aber der Anspruch dann nur einen Teil der Interessen befriedigt, bleibt Unzufriedenheit zurück. Wer hat nicht schon erlebt, dass der Mandant völlig unzufrieden aus dem Gerichtssaals stiefelte, weil er all das, was er eigentlich sagen wollte, nicht loswerden durfte.

Deshalb sollte sich jeder Jurist darüber im klaren sein, dass er im Rahmen der forensischen Tätigkeit kein Interessenvertreter sondern ein Anspruchsvertreter ist und nur sein kann. Und darin liegt auch der Wert und die Chance alternativer Konfliktlösungstechniken wie Mediation. Siehe auch mein Artikel „Das Eisbergmodell oder warum Juristen Konflikte nicht lösen„.