Ist Mediation nur die zweite Wahl, wenn man doch Recht hat oder meint, seinen Anspruch durchsetzen zu können? Nein! Mediation ist auch dann sinnvoll, wenn man sich in der stärkeren Position wähnt und nicht nur in der schwächeren. Wer seine Position für schwach hält, ist in der Regel eher bereit, sich auf ein Mediationsverfahren einzulassen.

Warum verhandeln, wenn ich meinen Anspruch doch auch gegen den Willen der anderen Partei durchsetzen kann?

Nun zum Ersten: Niemand hat die Garantie, dass er mit seinem Anspruch auf jeden Fall vor Gericht durchdringt. Oft schätzen Konfliktbeteiligte ihre Position weitaus stärker ein, als sie tatsächlich ist und es kostet manchmal Mühe, diese Sicht zu relativieren. Zum anderen ist das Recht in der Regel keine Rechenaufgabe. Gesetze sind bekanntlich abstrakt formuliert, damit es möglich ist, die Vielzahl von Lebenskonstellationen durch Subsumtion damit entscheiden zu können. Das bedeutet aber zugleich, dass man nie selten zu 100 % sicher sein kann, dass der eigene Lebenssachverhalt auch von einem Gericht genauso subsumiert wird. Nicht umsonst gibt es den Spruch: Auf hoher See und vor Gericht sind wir in Gottes Hand.

Dies gilt um so mehr, als der subjektive Gerechtigkeitsbegriff bei verschiedenen Menschen auch unterschiedlich ausfällt. Richter neigen gelegentlich dazu, zunächst einen Fall nach dem eigenen Gerechtigkeitsgefühl zu entscheiden und die juristische Begründung dem anzupassen. In der Referendararbeitsgemeinschaft hatten wir einen Richter von einer Beschwerdekammer am Landgericht, der das dann so ausdrückte: „Wir suchen immer zuerst das Schweinchen im Prozess.“

Und zum Zweiten: Wenn die eigene Rechtsposition schwach ist, nützt der beste Anwalt nichts! Zwar wird ein „guter“ Anwalt die Angelegenheit seines Mandanten nach allen rechtlichen Risiken hin abklopfen. Auch er kann aber keinen Richter zwingen, seiner Rechtsauffassung zu folgen. Und das Ergebnis einer Beweisaufnahme sowie die Beweiswürdigung des Gerichts wird er nicht vorhersehen können.

Aber das wichtigste: Selbst wenn sie ihren Prozess gewinnen und Ihren Anspruch durchsetzen können (denn auch hierfür gibt es keine Garantie, denn was nützt Ihnen der schönste Titel, wenn beim Gegner nichts zu holen ist), wird die Beziehung zum Unterlegenen zerstört sein. Oder glauben Sie etwa tatsächlich daran, dass Ihr Kontrahent einsieht, dass er im Unrecht war? Er wird das Urteil (oder den Richter oder beide) für schlecht und ungerecht halten und dazu haben die Zeugen noch gelogen und der Richter hat das nicht gemerkt! Die Beziehung zum Unterlegenen kann Ihnen egal sein, wenn Sie genau wissen, dass Sie ihm nie wieder begegnen. Nur das werden Sie nie so genau wissen. Und dann wird der Unterlegene es Ihnen heimzahlen wollen. Noch schlimmer ist es, wenn Sie die Beziehung zu ihrem Kontrahenten aufrecht erhalten und weiter leben müssen. Genau das ist doch oft das Problem bei arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen. Was nützt Ihnen der gewonnene Kündigungsschutzrechtssteit, wenn dann das Arbeitsklima zerstört ist? Aber auch in anderen Bereichen ist es genau so. Gewinnen Sie den Prozess gegen Ihren Kunden, können Sie ihn nicht nur als Kunden abschreiben, er wird (darüber gibt es Untersuchungen) doppelt so oft gegenüber seinen Kontakten von den schlechten Erfahrungen mit Ihnen berichten wie zufriedene Kunden von guten Erfahrungen. In Familiensachen müssen Eltern auch nach Beendigung des Unterhaltsverfahrens einvernehmlich die Belange Ihrer Kinder wahrnehmen – toll wenn zwischen beiden sich die Eiszeit breit gemacht hat.

Also, die suche nach einer konsensualen Lösung, bei der beide gewinnen, ist nicht nur für den interessant, der sich in einer schwachen (Rechts-)Position wähnt, sondern erst recht für den, der meint, das Gesetz (und damit der Richter) steht auf seiner Seite. Also ist Mediation bei Scheitern von Verhandlungen die erste Wahl und nicht nur die zweite!